

„Brücken schütten Gräben nicht zu, ebnen Unterschiede nicht ein, schaffen Hindernisse nicht weg, erkennen Trennendes an und ermöglichen dennoch Begegnung“ (Peter Ganzert)
Hier mein Pilgerbericht (obwohl ich erst am Abend dazukam):
Am Freitag, dem 9. Juni, machten sich 12 Frauen aus Halle zu Fuß auf den Weg zum Kloster Helfta (Eisleben). Dort fand am 10. Juni die 23. Frauenwallfahrt des Bistums Magdeburg statt, organisiert von den Halleschen Frauen der KFD (Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands). Im Jahr des Reformationsgedenkens lautete das Thema der Wallfahrt „Wenn Frauen sich trauen, Brücken zu bauen“. Der Weg führte die Frauen in kleine Kirchen am Weg, in denen jeweils eine Pilgerandacht gehalten wurde, zu einer Farbe des Regenbogens. Der Regenbogen als Brücke zwischen G
ott und den Menschen: „Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde“ sagte Gott zu Noah (1 Mose 9, 13). Die letzte Station bildete das „Lebendige Labyrinth“ in der weitläufigen Klosteranlage in Helfta. In Anlehnung an das Labyrinth der Kathedrale von Chartres wurde hier ein Gartenlabyrinth aus verschiedenen Heil- und Heckenpflanzen angelegt und liebevoll gepflegt. Die Mitte bildet ein Pavillon aus Buchenblättern. Jetzt im Juni stehen die Pflanzen in voller Blüte, man wird durch Duft und das Summen von Bienen und Hummeln eingehüllt.
Am Folgetag trafen etwa 400 Frauen und einige Männer nicht nur aus Sachsen-Anhalt, sondern u. a. aus dem Eichsfeld, Berlin und München zu Wallfahrt ein. Den Gottesdienst hielt Probst Hentschel aus Halle, der als einziger Mann zwischen den Frauen am Altar stand. In den Texten hörten wir ausnahmslos von starken Frauen aus der Bibel: von Rut und Naomi (Rut 1, 7 – 19) sowie der Syrophönizierin, die Jesus um Hilfe für ihre kranke Tochter bat (Mk 7, 24 – 30). Am Ende des Gottesdienstes wurde die neue geistlich-theologische Leiterin der KFD vorgestellt und begrüßt, Frau Rebekka
Gewandt. Als Geschenk erhielt sie – wie kann es anders sein – eine Bibel in gerechter Sprache.
Im anschließenden Zwischenprogramm lernten wir im Reformationsjahr die Nürnberger Äbtissin Caritas Pirckheimer (1467 – 1532) kennen, die als erste Brückenbauerin der Ökumene gilt. Kein Geringerer als Philipp Melanchthon sollte sie überzeugen, zu den Reformatoren überzutreten. Die kluge und hochgebildete Frau stimmte der Reformation in vielen Punkten zu, wollte aber ihrengewählten Lebensweg nicht verlassen. Sie argumentierte mit Luthers Argumenten: Freiheit des Gewissens und der Absage an Zwang und Gewalt. Mit Melanchthons Erlaubnis durfte sie ihr Kloster im protestantischen Nürnberg weiterführen und wurde damit eine Botschafterin für Toleranz und Glaubensfreiheit.
Um Brückenbauen und Frauenpower ging es auch bei den weiteren thematischen Angeboten des Tages: eine Brücke zwischen Wallfahrt und Alltag durch kreatives Gestalten eines Steines oder eine Brücke zum Fremden: durch den Besuch der Frauen aus dem Flüchtlings-Frauenhaus in Halle (unter ihnen Adile, die bei unserem letzten Picknick dabei war). Für diese wurden Spenden gesammelt, zur Anschaffung von Fahrrädern. Kleiner Wermutstropfen: es gab zum Mittagessen Nudel
n mit Wurstgulasch. Die Klosterküche hatte nicht daran gedacht, für die muslimischen Frauen ein Essen ohne Schweinefleisch zuzubereiten (auch nicht für Vegetarierinnen). Die „Brücke zu den Konfessionen und Religionen“ wurde durch zwei Ausstellungen im Kloster geschlagen: „Reformationsgedenken im Kloster Helfta“ und „Welt-Frieden – Welt-Ethos“. Beide Ausstellungen sind noch längere Zeit zu besichtigen.
Für alle, die es noch nicht kennen: Das Kloster Helfta, direkt an der B80 gelegen, gehört zu den herausragenden Stätten auf der Straße der Romanik. Nach seiner Gründung im Jahr 1229 entwickelte es sich zu einem Zentrum der Mystik, die berühmten Mystikerinnen Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hakeborn und Gertrud die Große lebten hier. In einer Zeit, in der Frauen zunehmend die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt wurde (zu den neugegründeten Universitäten hatten Frauen keinen Zugang), griffen diese gebildeten und selbstbestimmten Frauen mit ihren Schriften in die gesellschaftliche Diskussion ihrer Zeit ein. Während der Reformation und des Bauernkrieges begann der Niedergang des Klosters. Die Gebäude gingen durch die Hände verschiedener Besitzer und wurden hauptsächlich für landwirtschaftliche Zwecke genutzt, zuletzt in der DDR als LPG. Nach der Wende wurde das Kloster mit Spendengeldern vom Bistum Magdeburg zurückgekauft und seit 1998 Schritt für Schritt restauriert. Noch heute warten einige Gebäude auf ihre Sanierung. Seit Sommer 1999 leben wieder Ordensschwestern in Helfta (Zisterzienserinnen). Heute lädt das Kloster als Ort der Stille und Besinnung nicht nur Christen zum Verweilen ein. Auch bei Besuchern der Stadt Eisleben sind das Hotel und Tagungshaus beliebt, nicht zuletzt wegen der weitläufigen Gartenanlage mit dem „Lebendigen Labyrinth“. Wir sollten einmal zu einem gemeinsamen Besuch dorthin fahren.
Noch eine kleine Geschichte zum Schluss: Während der Flüchtlingskrise nahmen die Schwestern in Helfta mehrere Flüchtlingsfamilien in ihren Häusern auf, das Hotel wurde zeitweilig geschlossen. Die Familien sagten: „Wir freuen uns immer, wenn bei Ihnen die Glocken läuten. Dann wissen wir, dass Sie jetzt zum Beten gehen und wenden uns auch zum Gebet gen Mekka.“ Glockenläuten als interreligiöse Einladung zum Gebet – ein schöner Gedanke.


















